Der Fall
Der von unserer Kanzlei vertretene Arbeitgeber ist an den Tarifvertrag für Kulturorchester (TVK) gebunden und betreibt ein klassisches Orchester. Seit vielen Jahren sind die Orchesterferien vom Arbeitgeber kollektiv größtenteils im Sommer zwischen den Spielzeiten angesetzt (mindestens 32 Tage) und die restlichen Urlaubstage im Januar.
Die Gründe: Im Sommer müssen wegen der Bezuschussung des Hauses durch das Land Sachsen-Anhalt (auch Open Air-) Konzerte in der Fläche gegeben werden. Im Januar kommt erfahrungsgemäß wenig Publikum. Die Orchestermitglieder sind durch die anstrengenden Advents-, Weihnachts- Sylvester- und Neujahrskonzerte erschöpft. Außerdem muss die Bühne technisch gewartet werden. All das spricht für eine Zweiteilung der Orchesterferien.
§ 37 Abs. 3 Unterabsatz 3 Satz 2 TVK regelt, dass „der kleinere Urlaubsteil … möglichst unter Berücksichtigung der Interessen des Musikers“ gewährt werden muss.
Zwei Musiker, die seit mehr als 10 Jahren die kollektive Urlaubsordnung gelebt haben, beantragen Urlaub in den Oster-Schulferien, die außerhalb der kleineren Orchesterferien im Januar liegen. Sie meinen, dass der TVK eine Teilung der Orchesterferien nicht zulässt. Durch die kleineren Orchesterferien sei ihr Urlaubsanspruch deshalb nicht erfüllt worden.
Die Entscheidungen der Instanzgerichte
Das Arbeitsgericht Magdeburg gab dem Arbeitgeber Recht. Die Orchesterferien dürfen zweigeteilt werden und müssen nicht komplett zwischen den Spielzeiten liegen. Der Arbeitgeber darf auch den kleineren Urlaubsteil einseitig festlegen. Allerdings müsse der Arbeitgeber bei der Festlegung der (kollektiven) kürzeren Orchesterferien „möglichst“, d.h. in erhöhtem Maße, die Interessen der einzelnen Musiker beachten. Das habe der Arbeitgeber getan. Weil während der von den beiden Musikern beantragten Urlaube in den Oster-Schulferien Proben und Konzerte stattfanden, durften die Urlaubsanträge abgelehnt werden. Der Arbeitgeber war nicht verpflichtet, die beiden Musiker durch Aushilfen zu ersetzen.
Das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt gab den Arbeitnehmern Recht: Orchesterferien müssen gem. § 37 TVK ausschließlich zwischen den Spielzeiten liegen. Die kürzeren Orchesterferien im Januar haben die individuellen Urlaubsansprüche der Musikerinnen und Musiker nicht erfüllt. Wollen sie diesen offenen Urlaub geltend machen, müssen ihre individuellen Urlaubswünsche bevorzugt („möglichst“) berücksichtigt werden. Weil es während der von den beiden Musikern beantragten Urlaube wichtige Proben und Aufführungen gab, musste der Urlaub zwar nicht gewährt werden. Die Musiker behielten nach dem Urteil des LAG aber einen Anspruch, den noch offenen Urlaub im Folgejahr anzutreten.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (hier im Volltext)
Das BAG gab dem Arbeitgeber Recht: Er durfte einseitig durch Aushang die Orchesterferien so festlegen, dass ein Teil (von mindestens 32 Tagen gem. § 37 Abs. 3 Unterabsatz 3 Satz 1 TVK) im Sommer zwischen den Spielzeiten und ein kleinerer Teil während der Spielzeit liegt. Letzterer muss mit einer Vorlauffrist von mindestens sechs Wochen vom Arbeitgeber bestimmt werden. Die Erfordernisse des Spielplans haben bei der Urlaubsfestlegung Vorrang. Der TVK erlaubt eine Zweiteilung des kollektiven Orchesterurlaubs aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen. In mehr als zwei Teile darf der Urlaub nicht geteilt werden. § 37 Abs. 3 Unterabsatz 3 Satz 2 TVK regelt, dass der kleinere Urlaubsteil „möglichst“ unter Berücksichtigung der Interessen des Musikers festgelegt werden soll. Nach dem BAG wird, anders als es das LAG sieht, „der Bereich des Möglichen durch die Erfordernisse des Spielplans und die dienstlichen bzw. betrieblichen Gründe“ begrenzt.
Individuelle Urlaubsanträge müssen daher nur berücksichtigt werden, wenn der Urlaub nicht durch die (ggf. zweigeteilten) Orchesterferien aufgebraucht ist und wenn sie außerhalb der Orchesterferien an proben- und aufführungsfreien Tagen liegen. Die Alternative zum (bezahlten) Urlaub ist der in § 41 TVK geregelte unbezahlte Sonderurlaub, der gewährt werden kann, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es gestatten.
Auswirkungen in der Praxis
Das Urteil des BAG bestätigt die bisherige Praxis und sorgt für die Orchesterbetreiber für Rechtssicherheit. Alles kann so bleiben, wie es ist. Das ist die gute Nachricht für alle Orchesterbetreiber.
Denn das Urteil des LAG Sachsen-Anhalt hätte die gesamte Urlaubsordnung vieler Häuser – kleiner und großer –, die seit Jahren die Orchesterferien zweiteilen, vollständig verändert. Entweder hätten die Orchesterferien nur noch komplett zwischen den Spielzeiten gewährt werden können. Oder es hätte, wenn nur ein Teil der Orchesterferien zwischen den Spielzeiten gewährt worden wäre, komplizierter Regelungen zu individuellen Urlauben einzelner Musikerinnen und Musiker während der Spielzeit geben müssen. Die Arbeitgeber hätten viel Zeit und Geld für die Suche und Bezahlung von Aushilfen aufbringen müssen. Die Qualität der Orchester hätte gelitten. All das ist den Orchesterbetreibern, den Musikerinnen und Musikern und dem Publikum Dank des Urteils aus Erfurt erspart geblieben.