Landgericht Göttingen, Beschluss vom 19.01.2016 – Az.: 5 Qs 3/15
Das Landgericht Göttingen hat entschieden, dass die Vorschriften der Insolvenzanfechtung auch für Geldstrafen gelten und Geldstrafen nach Anfechtung der Zahlung wieder aufleben.
Eine Geldstrafe könne anschließend nach den Bestimmungen der StPO vollstreckt werden. Mit seiner Entscheidung betritt das Landgericht gerichtliches Neuland. Die Frage, welches Schicksal eine strafrechtliche Geldstrafe nach erfolgreicher Anfechtung trifft, wurde in der Literatur zwar kontrovers diskutiert, bisher jedoch – soweit ersichtlich – noch nicht gerichtlich entschieden.
Der Verurteilte und spätere Insolvenzschuldner wurde am 22.11.2013 vor dem Amtsgericht Göttingen im Wege eines Strafbefehls zu einer Gesamtgeldstrafe von insgesamt 24.500 EUR verurteilt. Bereits am 02.12.2013 beglich er die gesamte Summe. Der Strafbefehl wurde am 12.12.2013 rechtskräftig. Am 09.12.2013 stellte der Verurteilte einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens focht der zuständige Insolvenzverwalter die vom Schuldner an den Fiskus gezahlte Geldstrafe an. In dem darauf folgenden Rechtsstreit wurde das Land Niedersachsen zur Rückzahlung der Geldstrafe an die Insolvenzmasse verurteilt. Nachdem das Land die Summe zurückerstattet hatte, forderte die zuständige Staatsanwaltschaft den Schuldner zur nochmaligen Zahlung der Geldstrafe auf. Da der Schuldner der Aufforderung nicht nachkam, wurde er zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe geladen.
Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Schuldners blieben erfolglos. Das Landgericht Göttingen bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Die Zahlung einer Geldstrafe unterliege nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO. Die Geldstrafenforderung lebe nach erfolgreicher Anfechtung und Auskehr des Anfechtungsbetrags wieder auf, §§ 143, 144 InsO. Die Staatsanwaltschaft könne die Vollstreckung nach den Regeln der StPO betreiben und auch bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 43 StGB zur Ersatzfreiheitsstrafe laden.
Das Verbot der Doppelbestrafung stehe der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nicht entgegen. Die Strafe sei nicht durch die erste Zahlung getilgt worden, so dass nicht zum zweiten Mal vollstreckt werde. Zwar sei Zweck der Geldstrafe nicht Bereicherung des Fiskus, sondern Konsumverkürzung des Verurteilten. Demnach könne es nicht darauf ankommen, ob das Geld beim Fiskus verblieben sei. Allerdings sei es gerade nicht zu einem Vermögensabfluss beim Verurteilten gekommen, denn aufgrund der insolvenzrechtlichen Wertung stand die gezahlte Summe schon bei Zahlung der Gläubigergemeinschaft und nicht dem Verurteilten zu. Hätte der Verurteilte nicht geleistet, wäre das Geld bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens unmittelbar in die Masse gefallen und wäre seinem Zugriff entzogen worden. Normativ handele es sich um Geld Dritter.
Das Landgericht weist jedoch auf mögliche Auswege aus dem Dilemma für den Verurteilten hin. Zum einen bestehe die Möglichkeit die Strafe aus dem pfändungsfreien Teil des Vermögens zu bezahlen oder gemeinnützige Arbeit zu leisten, um die Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden. Zum anderen habe auf Antrag des Verurteilten die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über Zahlungserleichterungen zu entscheiden.
Brehm & v. Moers
Rechtsanwältin Dr. Rahel Reichold
Strafrecht Wirtschaftsstrafrecht Steuerstrafrecht
München