GameStar: In Wolfenstein 2 hat sich Bethesda dazu entschlossen, alle Erwähnungen des Judentums und des Holocaust aus den Dialogen zu entfernen. Auch den Namen Hitlers haben die Entwickler gestrichen und daraus „Herr Heiler“ gemacht. Ist das aus rechtlicher Sicht eigentlich notwendig?
Kai Bodensiek: Ich habe den aktuellen Titel noch nicht gespielt – ich wollte mir noch die PEGI Version bestellen – und natürlich ist es erstmal eine Einzelfallfrage, aber nach allem, was ich über die Reihe weiss, auf YouTube gesehen habe und nach der Lektüre des Tests in der GameStar bin ich sehr davon überzeugt, dass es rechtlich nicht notwendig war.
GameStar: Um Hitler auch visuell zu „verfremden“, hat man ihm den Oberlippenbart abrasiert. Darf man das Bild allgemein nicht in Videospielen verwenden? Darf es nur nicht verherrlichend wirken? Und was bedeutet das in einem Fall wie diesem?
Kai Bodensiek: Grundsätzlich gilt das Bild Hitlers als verfassungswidriges Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Daher ist grundsätzlich die Verbreitung von Hitlerbildnissen verboten. Allerdings ist diese Regelung genauso wie der § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) dahingehend eingeschränkt, dass eine Verwendung im sogenannten sozialadäquaten Rahmen, z.B. zu Zwecken der Bildung, der Berichterstattung aber auch zu Zwecken der Kunst erlaubt ist und nicht dem Verbot unterfällt. Dieses Korrektiv im Strafgesetzbuch greift nur dann nicht, wenn die Verwendung einen werbenden, idealisierenden oder propagandistischen Zweck dient und der andere Zweck nur vorgeschoben ist. Dass Computerspiele Kulturgüter sind und damit auch dem weiten Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts unterfallen, ist seit langem bekannt und auch von Gerichten akzeptiert. Unabhängig davon, dass ich „Heiler“ für „Hitler“ als ungünstige Ersetzung erachte, dürfte in der Darstellung als kranker, geifernder, paranoider Mann wohl keine Propaganda für eine nationalsozialistische Ideologie zu sehen sein.
GameStar: In Call of Duty: WW2 haben die Entwickler laut eigener Aussagen viel Wert auf Authentizität und historische Akkuratesse gelegt. Hat es einen Einfluss auf die Bewertung der Strafbarkeit, wenn das Spiel eine Art biografische Korrektheit erlangt?
Kai Bodensiek: Da es vor allem auf die Frage ankommt, ob in der Verwendung der Kennzeichen ein propagandistischer Zweck oder zumindest eine Billigung zu sehen ist. Eine biographische Darstellung ist erst einmal ein sinnvolles Element, denn bei einer übermäßigen Zeichenverwendung kann die Vermutung einer Idealisierung naheliegen – außer es ist ein überzeichnendes Stilmittel. Es kommt daher auch auf die konkrete Darstellung an. Authentische Uniformen werden sicherlich kein Argument sein, eine idealisierende Darstellung von NS-Ideologie zu rechtfertigen.
GameStar: Macht es eigentlich einen Unterschied, ob man in Call of Duty in die Rolle der Wehrmacht schlüpft oder Deutsche als Gegner dargestellt werden?
Kai Bodensiek: Das kann einen tatsächlich auch zu einer unterschiedlichen Wertung führen. Spiele sind anders als Filme ein interaktives Medium, weshalb sich ein Spieler schnell mit den Handlungen der Figur identifizieren kann – wobei man auch mit diesem Effekt spielen kann, um besonders negative Reaktionen zu verursachen. Kämpft man auf deutscher Seite unter der Hakenkreuzfahne, kann daher der Spielausgestaltung und den Reaktionen im Rahmen der Handlung eine besondere Bedeutung zukommen. Besonders schwierig kann das bei Multiplayerspielen werden.
GameStar: BPjM und USK folgen der Rechtsauffassung, dass das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole in Videospielen grundsätzlich strafbar sei (Aussage 2014 der OLJB). Die USK verweigert Spielen mit entsprechender Symbolik daher pauschal eine Auszeichnung. Worauf beruht diese Auffassung und warum fallen Videospiele als Kunst- und Kulturwerke nicht unter die sogenannte Sozialadäquanzklausel von §86a?
Kai Bodensiek: Hintergrund des auch in Jugendschutzkreisen weit verbreiteten Irrglaubens, dass Hakenkreuze in Spielen grundsätzlich strafbar seien, ist ein Urteil aus dem Jahr 1998 (!) zu Wolfenstein 3D. Damals wurden Betreiber des rechtsradikalen Mailboxnetzes „Thulenetz“ wegen der Verbreitung von Wolfenstein 3D (einschließlich der enthaltenen Hakenkreuze) verurteilt. In dem Spiel wimmelte es nur so von Hakenkreuzen und da man damals Computerspiele als Medium weder kannte noch billigte und zum anderen wegen des Hintergrunds der Angeklagten wurde das Thema Kunst und Sozialadäquanz (rechtsfehlerhaft!) im Urteil nicht einmal thematisiert. Vor allem wurde gerade nicht festgehalten, dass Hakenkreuze in Spielen allgemein verboten wären, das Gericht hat sich schlicht nicht mit der Frage der Kunstfreiheit befasst. In der Medizin würde man das als Kunstfehler bezeichnen. Dennoch hat sich in den Köpfen vieler aufgrund des Urteils ein angebliches Hakenkreuzverbot für Spiele festgesetzt. Bei einer gründlichen juristischen Betrachtung muss sich aber jedem erschließen, dass eine derart pauschale Einschränkung der Kunstfreiheit verfassungswidrig sein müsste.
GameStar: Wie kommt es eigentlich allgemein, dass Videospiele anders behandelt werden als Spiele? Warum darf Inglourious Basterds (mit 6,8 Millionen Euro aus staatlicher, deutscher Filmförderung bedacht) Nazis zum Thema machen, ein ebenso surreales, satirisches Wolfenstein aber nicht?
Kai Bodensiek: Der Film hat viele Jahre gebraucht, um gesellschaftlich nicht nur als primitive Zerstreuung, sondern als wichtiges Kulturgut wahrgenommen zu werden. Niemand wird heute daran zweifeln, dass der Film mit Mitteln wie Ironie, Satire, Empathie oder auch Schock und Bestürzung in der Lage ist, politische Themen in einer angemessenen Form zu behandeln, selbst wenn Hauptaugenmerk die Unterhaltung ist. Computerspiele sind im 2007 vom Kulturrat als Kulturgut anerkannt worden. Seitdem sprechen wir immer wieder davon, wann Computerspiele „in der Mitte der Gesellschaft“ ankommen werden. Es wird sicherlich auch noch dauern, dass es auch für jeden offensichtlich ist, dass Computerspiele genauso wie Filme wichtige Bestandteile der kulturellen Auseinandersetzung mit politischen Themen sein können. Rechtlich gibt es also keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Spielen und Filmen. Bei beiden sollte es auf den konkreten, individuellen Inhalt ankommen.
GameStar: Würde das Verbot verfassungsfeindlicher Symbole auch greifen, wenn ein Entwickler Software zum Zwecke der staatsbürgerlichen Aufklärung entwickelt? Sprich: Ist das gesamte Medium Videospiel betroffen oder nur das „Entertainment“-Spiel?
Kai Bodensiek: Es ist noch nicht einmal der Entertainment-Teil des Mediums betroffen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat bereits klargestellt, dass nur weil ein Kunstwerk hauptsächlich der Unterhaltung dient, die Verwendung von Hakenkreuzen deshalb nicht pauschal verboten ist (Entscheidung zu den sogenannten „Hitler Satiren“). Auch wenn ein Kunstwerk nur unterhalten will, wird es dennoch von der Kunstfreiheit geschützt. Es käme dann auf den konkreten Inhalt an und dessen Beziehung zum Nationalsozialismus. Insofern kann man sagen, dass ein Spiel, das staatsbürgerliche Aufklärung zum Ziel hat, erst recht von der Kunstfreiheit geschützt ist und wohl das klassische Beispiel für die Tatbestandskorrektur nach § 86 III StGB wäre.
GameStar: Was muss (rechtlich oder gesellschaftlich) passieren, um Videospiele mit Filmen gleichzustellen?
Kai Bodensiek: Ich gehe davon aus, dass eine rechtliche Gleichstellung bereits gibt. Sie ist in Art. 5 Grundgesetz und in § 86 III StGB vorgesehen. Das Problem liegt darin, dass die OLJB sich an einem offensichtlichen Fehlurteil aus dem Jahr 1998 festhalten und somit die Festlegung klarer Richtlinien für den Jugendschutz im Computerspielebereich und eine differenzierte Behandlung des Themas verhindern. Das ist aus deren Position allerdings auch nachvollziehbar, denn wer möchte schon als „Befreier der Hakenkreuze“ gelten. Politisch sicherer ist es dann abzuwarten, bis einem ein Gericht oder die Politik neue Vorgaben geben. Formal wird man wohl gerichtlich gegen eine Ablehnung einer Wertung bei der USK vorgehen müssen, um eine rechtliche Klärung herbeizuführen.
GameStar: Viele Publisher veröffentlichen spezielle deutsche Versionen, in denen entsprechende Symbole entfernt werden. Doch wenn man sich die Indizierungs- und Beschlagnahmepraxis der letzten Jahre anschaut, stellt man fest, dass BPjM und Staatsanwaltschaften fast nie gegen die die internationalen Versionen tätig wurden. Muss ein Medium eigentlich beschlagnahmt sein, um gegen §86a zu verstoßen?
Kai Bodensiek: Nein, das sind tatsächlich unterschiedliche Zuständigkeiten und Entscheidungsebenen. Für ein Verfahren nach §§ 86, 86a, 130, 131 StGB sind die allgemeinen Strafverfolgungsbehörden – also die Staatsanwaltschaft – zuständig. Über die Strafbarkeit (und Beschlagnahme) entscheidet allein ein Strafgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Diese wird nur dann einen Antrag stellen, wenn eine entsprechende Strafanzeige vorliegt und sie von einer Verurteilung ausgeht. Im Rahmen eines solchen Ermittlungsverfahrens kann ein Gericht auch die Beschlagnahme anordnen. Die BPjM entscheidet aber nur über ein Vertriebsverbot nach Jugendschutzrecht. Im Rahmen der Entscheidung spricht die BPjM eine Prognose zur Strafbarkeit aus, zuständig für das Strafverfahren ist sie aber nicht und ihre Entscheidung hat auch keine Wirkung im Hinblick auf die Strafbarkeit der Inhalte.
GameStar: Manche Kritiker werfen Bethesda vor, durch die Änderungen an Wolfenstein 2: The New Colossus geschichtsrevisionistisch gehandelt zu haben. Fällt das Weglassen von NS-Verbrechen unter eine strafbare Holocaust-Leugnung?
Kai Bodensiek: Das geht dann doch zu weit. Das Leugnen des Holocaust ist als Volksverhetzung strafbar. Nur weil in einer fiktiven Welt, in der keine Nationalsozialisten vorkommen, der Holocaust nicht thematisiert wird, können sicher nicht Volksverhetzung ausgehen. Ob es einer politischen Verantwortung gerecht wird, die Deutschen mit den grausamen Verbrechen des Dritten Reichs nicht zu konfrontieren, kann man sicherlich diskutieren, aber hier würde ich auch einen Games Publisher nicht übermäßig in die Pflicht nehmen wollen. Etwas anderes wäre es, wenn einem Spieler durch die Handlung eines Spiels nahe gelegt wird, dass es einen Holocaust nie gegeben hätte. Ein „nicht thematisieren“ reicht dafür nicht aus.
GameStar: Ist es rechtlich notwendig, deutsche Spieler per Geolock (zum Beispiel auf Steam, im PSN oder Xbox Store) davon abzuhalten, die internationale Version eines Spiels zu nutzen?
Kai Bodensiek: Ich würde einem Plattformbetreiber immer dazu raten, eine solches Geoblocking durchzuführen, allein schon um sich nicht selbst dem Risiko von Ermittlungsverfahren auszusetzen, egal ob diese am Ende positiv ausgehen oder nicht. Ich bin als Plattformbetreiber auch kaum in der Lage einzuschätzen, ob die Inhalte des Spiels zulässig sind oder nicht. Der Plattformbetreiber müsste dann jedes einzelne Produkt prüfen, ob die Kunstausnahme greift oder ob doch eine billigende Darstellung vorliegt. Inzwischen haben wir mit dem IARC Verfahren auch ein sehr gutes Jugendschutzmodel gefunden, das einen weitestgehend rechtssicheren Onlinevertrieb ermöglicht, wenn der Store an IARC angeschlossen ist.
Meiner Ansicht nach bedarf gerade auch vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen einer differenzierten Befassung mit dem Thema. Pauschale Verbote sind sowohl verfassungsrechtlich als auch pädagogisch kaum sinnvoll. Wichtiger wäre es Richtlinien wie auch in den übrigen Bereichen des Jugendschutzes zu haben, die sowohl die Schöpfer von Spielen als auch deren Konsumenten ernst nehmen und sich nicht hinter falschen strafrechtlichen Erwägungen verstecken. Ein Verkaufsverbot für Spiele wie Southpark wegen eines Hakenkreuzes sorgt auf beiden Seiten nur für Unverständnis, wenn man abends in der heute Show sieht, wie ein Hakenkreuz aus Wiener Schnitzel geformt wird, um sich über aktuelle Politik in Österreich lustig zu machen.