In letzter Zeit haben uns vermehrt Anfragen erreicht, was die „neuen Jugendschutzanforderungen“ nach dem Medienstaatsvertrag wären und warum man nun nicht mehr vor 22 Uhr streamen dürfe. Auch auf Twitter finden sich einige Threads zu diesem Thema, z.B. hier.
Diese Anfragen haben uns vor allem deshalb verwundert, weil der Medienstaatsvertrag („MStV“), wie wir berichtet haben, viele Änderungen für Streamer vor allem im Hinblick auf die Zulassungspflicht gebracht hat. Die Regelungen zum Jugendschutz im Jugendmedienschutzstaatsvertrag („JMStV“) sich aber eigentlich nicht geändert haben.
Ein kurzer Blick zurück:
Bereits vor Inkrafttreten des MStV war es zu einem Konflikt zwischen den Landesmedienanstalten und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimediadienste-Anbieter („FSM“) gekommen Die FSM hatte die Software „Jusprog“ wiederholt zertifiziert. Anbieter können gemäß § 11 Absatz 1 JMStV ihr Programm unter Verwendung eines so zertifizierten Jugendschutzprogrammes mit Alterskennzeichnungen versehen, die von dem Jugendschutzprogramm ausgelesen werden können und so den Zugang für Jugendliche unterbinden können. Ist ein Angebot durch ein zertifiziertes Jugendschutzprogramm gekennzeichnet, so sieht § 5 Absatz 3 JMStV vor, dass weitere Maßnahmen, insbesondere eine Einschränkung der Sendezeit, nicht mehr vorgenommen werden müssen. Seit vielen Jahren nutzen daher Anbieter wie Twitch und Youtube die Kennzeichnung durch die Software „Jusprog“.
Im Jahr 2019 versagte die Kommission für Jugendmedienschutz („KJM“) – die selbst zum großen Teil aus den Direktoren der Landesmedienanstalten und den Vertretern der obersten Jugendschutzbehörden besteht – die Bestätigung der Zertifizierung durch die FSM. Dies war überraschend, da es sich um eine wiederholte Zertifizierung handelte. Ziel der KJM war es der Software „Jusprog“ die Zertifizierung zu entziehen. Das Argument war u.a., dass nicht alle Plattformen unterstützt würden (was zuvor allerdings auch nie der Fall war). Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der KJM und der FSM verständigte man sich darauf, dass die Verwendung der Software weiter geduldet würde und inzwischen ist die neuste Version auf wieder zertifiziert.
Der Versuch die Jugendschutzprogramme auf diesem Weg zu beseitigen und somit eine Sendezeitbeschränkung bei Streamern zu erzwingen, war also noch 2019/2020 gescheitert.
Bis zu diesem Zeitpunkt war es sowohl bei der KJM als auch bei den Landesmedienanstalten völlig unstreitig, dass Streams, die als Rundfunk zu bewerten waren, bei Verwendung der Kennzeichnung durch Jusprog keiner Sendezeitbeschränkung unterlagen. Dies scheint sich jetzt geändert zu haben – ohne dass es hierzu eine Gesetzesänderung gegeben hätte. Vielmehr scheint man schlicht die Verwaltungspraxis zu ändern.
So wurde uns ein Vorgehen gegen Streamer bekannt, die Jusprog verwendeten und USK 18 Spiele streamten. Diese wurden aufgefordert solche Inhalte erst nach 23 Uhr zu streamen, da ansonsten Bußgeldverfahren eingeleitet werden müsste. Dies erstaunt, denn in § 5 Absatz 3 JMStV heisst es ausdrücklich:
„(3) Der Anbieter kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er
1.durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert, oder das Angebot mit einer Alterskennzeichnung versieht, die von geeigneten Jugendschutzprogrammen nach § 11 Abs. 1 und 2 ausgelesen werden kann, oder
2.die Zeit, in der die Angebote verbreitet oder zugänglich gemacht werden, so wählt, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe üblicherweise die Angebote nicht wahrnehmen.“
Jusprog ist tatsächlich das zertifizierte Jugendschutzprogramm, das nach § 11 Abs. 1 und 2 JMStV das Angebot mit einer Alterskennzeichnung versehen und auslesen kann. Das bestreiten die Landesmedienanstalten auch nicht. Jedoch gehen die Landesmedienanstalten davon aus, dass diese Regelung für Rundfunkangebote nun nicht mehr gelten soll. Vielmehr wird dort nun die Ansicht vertreten, dass § 11 JMStV systematisch im Abschnitt „Vorschriften für Telemedien“ steht und daher auch nur auf Telemedien, nicht aber auf Rundfunk angewendet werden kann.
Das Argument ist fadenscheinig: Obwohl § 5 JMStV sich ausdrücklich sowohl an Rundfunk- als auch an Telemedienangebote richtet, im Abschnitt „Allgemeine Vorschriften“ verortet ist und ausdrücklich auf § 11 JMStV verweist, meint man nunmehr nach vielen Jahren der entgegenstehenden Rechtsanwendung diese allgemeine Ausnahme nicht mehr akzeptieren zu wollen. Ob dies einer gerichtlichen Prüfung standhält, ist zumindest zweifelhaft, aber zunächst scheinen einige Landesmedienanstalten diese Rechtsansicht aktiv anwenden zu wollen.
Dabei ist zu beachten: Rundfunkanbieter ist ein Streamer grds. auch ohne eine Rundfunkzulassung, wenn er denn regelmäßig streamt, d.h. es braucht keiner Rundfunkzulassung, um in den fragwürdigen Genuss dieser Rechtsauslegung zu gelangen.
Wir können jedem Betroffenen nur raten, sich im Einzelfall rechtlich beraten zu lassen und auch Rechtmitteln in Erwägung zu ziehen oder sich unter den Vorbefassungsschutz einer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle (wie der „USK“) zu begeben. Als Mitglied einer solchen Einrichtung sind die Landesmedienanstalten nämlich gezwungen, die Rechtsfrage zuerst mit der Einrichtung zu erörtern, die ggfs. andere Mittel hat, eine solche Frage klären zu lassen.
Fazit: Es gibt keine neuen Jugendschutzvorschriften für Streamer. Die Kennzeichnung als „ab 18“ mit Jusprog dürfte auch weiterhin ausreichend sein. Andere Auslegungen durch Landesmedienanstalten sind bisher gerichtlich nicht bestätigt.
Zuletzt noch ein Hinweis: Nur weil ein Spiel eine Wertung „USK 18“ erhalten hat, muss das nicht heissen, dass ein entsprechender Stream ebenfalls eine solche Einordnung erhalten würde. Tatsächlich ist es sogar recht wahrscheinlich, dass ein Stream eine niedrigere Einstufung erhalten kann, denn im Unterschied zu dem aktiven Medium des Computerspiels, bei dem der Spieler immersiv selbst Entscheidungen trifft und erlebt, ist die Wirkung eines Videos als reines Konsummedium durchaus anders zu beurteilen. Ein Stream ist daher nach seinem eigenen Inhalt zu beurteilen. Die USK Wertung des Spiels mag ein Indiz sein, mehr aber nicht. Wer einmal einem Streamer mit Lachflash „Resident Evil“ hat spielen sehen, das nachvollziehen.